Trichotillomanie – Zum Haare raufen

Ronny

hast du dir ja ein interessantes Thema ausgesucht. Es freut mich deshalb umso mehr, dass du auf dieser Seite gelandet bist. Wenige Menschen wissen eigentlich was Trichotillomanie, kurz Trich, ist. In diesem Artikel, der übrigens sehr persönlich gehalten ist, gehe ich auf das Thema und meine Geschichte ein. Wenn du allerdings „nur“ wissen möchtest, was Trichotillomanie ist, dann will ich dir das nicht länger vorenthalten:

Kurz gesagt ist Trichotillomanie eine Zwangsstörung bei der man sich die Haare ausreist. Dabei kann es sich um die Haare auf dem Kopf, Augenbrauen, Wimpern oder ebenso andere Hautbereiche mit Haaren handeln. Die Ausprägungen sind ganz unterschiedlich und warum das so ist und einige Menschen machen weiß man bis heute nicht so genau.

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Warum schreibe ich über dieses Thema?

Weil ich ebenso davon betroffen bin und seit ca. meinem 12ten Lebensjahr unter Trichotillomanie leide. Manchmal stärker und manchmal so gut wie gar nicht. Bis zum April 2024, also bis zu meinem 45ten Lebensjahr, habe ich diese Krankheit versucht geheim zu halten, da es mich stets belastet und ich mich oft dafür schäme. Doch eigentlich will ich mich nicht mehr verstecken, da ich weiß, dass es anderen Betroffenen ebenso geht und kaum jemand über diese Krankheit spricht.

Aus diesem Grund habe ich diesen Artikel erstellt und wie ein kleines Interview aufgebaut, damit meine Sichtweise und meine Situation in diesem Zusammenhang besser nachvollziehen kannst:

Was genau ist Trichotillomanie?

Trichotillomanie ist eine Zwangsstörung, bei der Betroffene bewußt oder auch unbewußt einzelne Haare oder sogar ganze Haarbüschel ausreißen. Ich selbst habe diesen Zwang mit 12 Jahren bei mir gespürt und begonnen mir Wimpern im oberen Augenlied auszuzupfen. Meist solange, bis ich dort keine mehr hatte. Teilweise ging dieser Drang auch zu den Augenbrauen über.

Tut das ausreißen der Wimpern nicht weh?

Wer sich hin und wieder ein Haar oder eine Augenbraue auszupft, dem tut das sicher weh. Aber Frauen zupfen sich die Augenbrauen ihr ganzes Leben lang. Sie wissen am besten, dass der Schmerz nur am Anfang vorhanden ist und dann relativ schnell abklingt bzw. später sogar gar nicht mehr vorhanden ist. So ist es auch bei Personen die an Trichotillomanie erkrankt sind. Man bekommt den Drang ein Haar auszuzupfen und fängt dann einfach an. Schmerz spürt man dabei nicht. Es ist eher ein angenehmes und beruhigendes Gefühl.

Wie hat sich das bei dir geäußert bzw. was hat die Krankheit mit dir gemacht?

Als ich damit begonnen habe, war es ein Gefühl von innerer Zufriedenheit. Es beruhigt irgendwie, wenn man das machen kann. So wie Raucher ruhiger werden, wenn sie eine Zigarette rauchen können oder ein Glücksspieler auf etwas Wetten kann. Jeder hat seine Rituale die beruhigen und eine gewisse Zufriedenheit vermitteln. Bei der Trichotillomanie ist es eben das auszupfen von Haaren. So merkwürdig es klingt.

Leider habe ich auch schnell erkannt, dass man ohne Wimpern schon sehr merkwürdig aussieht und Leute einen komisch ansehen. Sie wissen eventuell nicht was genau mit dem Aussehen nicht stimmt, doch sie merken, dass etwas anders ist. Eventuell haben es sogar viele Menschen in meiner Umgebung gemerkt, doch keiner hat mich darauf angesprochen.

Denn was viele Menschen nicht wissen, auf der einen Seite ist es beruhigend, dass man sich Haare oder Wimpern ausreißt, auf der anderen Seite kommt dann jedoch bald ein sehr großes Schamgefühl, da die betroffene Stelle oft bis zur Kahlheit (bei manchen auch bis es blutet) bearbeitet wird. Das merkt man oft selbst nicht. Man sitzt zum Beispiel vor dem PC, arbeitet an einer Sache und fängt dann unbewusst an sich die Wimpern zu zupfen. Dann entspannt es einen und man kann nicht so richtig aufhören und an dem weiterarbeiten, an dem man zuvor gearbeitet hat. Es ist eben wie ein innerer Drang der zugleich beruhigt. Doch wie erwähnt, dabei bleibt es ja leider nicht…

Mindestens zwei Drittel der Personen die an Trichotillomanie leiden, hatten ein traumatisches Erlebnis. Wie ist das bei dir?

Ich habe mich auch viel über diese Krankheit informiert und sogar eine ganze Studienarbeit über Trichotillomanie gefunden. Ich weiß, dass Betroffene oft etwas mit dem Haare ausreißen verarbeiten. Ich gehe davon aus, dass dies mit meiner Kindheit und mit meinem Bettnässen zu tun hat. Mit diesen Situationen war ich leider stets alleine und konnte mir keine hilfreiche Unterstützung von jemanden erwarten.

Wie standen deine Eltern zu dieser Krankheit?

Kurzum: Es wurde verleugnet.

Die etwas längere Geschichte: Wie erwähnt, merkt der Gegenüber, dass mit dem Aussehen etwas nicht stimmt, wenn ganze Wimpern fehlen. So hatten es auch meine Eltern gemerkt und mich schockiert darauf angesprochen. Als 12 bzw. 13jähriger verleugnest du jedoch alles möglich. Also wußte ich quasi von nichts. Ein späterer Termin beim Augenarzt enthüllte dann die Wahrheit, wobei ich, anstatt mit Fürsorge, mit Schuldgefühlen konfrontiert wurde. Ich kann den Satz heute noch hören: „Du hast gesagt, du weißt nicht, warum dir die Wimpern fehlen und dann erzählt mir ein Arzt, dass du sie dir ausreißt? Weißt du wie blöd ich mir dort vorgekommen bin?“ Selbstredend führt das zu einem noch größeren Druck und noch mehr fehlenden Wimpern…

Bei Besuch von Bekannten meiner Eltern wurde ich sogar einmal gerufen, damit diese sehen konnte wie ein Jugendlicher ohne Wimpern aussieht. Das war einer der einprägsamsten und schlimmsten Momente für mich.

Hast du dich niemanden anvertraut?

Trichotillomanie ist leider keine Krankheit wie Husten oder Schnupfen, den man kurz mal bei Freunden oder beim Arbeitgeber bekanntgibt. Ich habe vor allem durch das Internet erfahren, dass Betroffene meist alleine mit dieser Zwangsstörung sind. Ehrlich gesagt wüßte ich auch gar nicht, wem ich mich hätte anvertrauen sollen. Die Personen von denen ich es mir erwartete, wollten davon nichts wissen. Also überlegt man es sich zweimal ob man sich jemanden anvertraut, der einen dann auch entsprechend ernst nimmt und eventuell zur Seite steht.

Ich für meinen Teil entschied damals als 12jähriger, dass ich es für mich behalte so gut es ging. Eine Entscheidung die 28 Jahre andauern sollte und mir viele Tage in Angst und Scham bescherte.

Hat sich das jemals geändert?

Ja, als ich 2019 meine zukünftige Frau Irena kennenlernte. Sie war die erste Person, der ich mich diesbezüglich öffnen konnte. Bei ihr wollte ich von Anfang alles anders machen und so hat sie ziemlich schnell erfahren an was ich leide und wie es mir dabei geht. Dabei hat sie großes Verständnis gezeigt und mich nie dafür verurteilt. Sie unterstützt mich und gibt mir Halt, sollte es zu einem Rückfall kommen oder wenn ich merke, dass der Drang recht groß wird.

Seitdem ist auch der Drang Wimpern auszureißen geringer geworden. Er kommt jedoch nach wie vor stark hervor, wenn wir unter Stress stehen oder Tage nicht ganz so laufen, wie man es sich vorgestellt hat. Allerdings haben wir erkannt, dass es eben dazu gehört. Mit Ablenkungen wie Sport, Ausflüge oder auch einem guten Essen wird mittlerweile der Drang zum Zupfen sehr gut kompensiert.

Was rätst du Betroffenen?

Zuerst einmal: Wenn du auch darunter leidest, dann solltest du wissen, dass du damit nicht alleine bist. Das mag zwar ein kleiner Trost sein, weil es ja dich und deinen Alltag extrem beeinflußt, doch du kannst dich mit anderen austauschen. Betroffene die an Trichotillomanie leiden, wissen am besten wie es ist, wenn man sich danach schämt und wie man den Drang auch einigermaßen kontrollieren kann.

Versuche vor allem niemanden davon zu überzeugen, dass dies eine Zwangsstörung ist. Wer von selbst erkennt, dass es ein Zwang ist – und das ist ja eigentlich offensichtlich – der weiß wie er mit dir umzugehen hat. Alle anderen werden das Verständnis womöglich kaum aufbringen.

Was würdest du dir wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass Leute für ihre Zwänge und Ticks nicht in Schubladen gesteckt werden. Es hat sehr oft einen Grund, warum Personen so handeln wie sie eben handeln (müssen). Es ist in diesem Fall nur eine andere Art der Kompensierung eines ganz anderen Themas und Problems. Würden die Leute ihr Gegenüber genauer beobachten und sich dafür interessieren, dann müßte man sich mit solchen Zwangsstörungen auch nicht verstecken. Vor allem wünsche ich mir, dass Eltern ihre Rolle als Vertrauensperson ernster nehmen würden.

Möchtest du dich mehr zu diesem Thema informieren oder bist du sogar selbst davon betroffen, so habe ich einige hilfreiche und informative Links gesammelt. Selbstverständlich kannst du mich auch direkt kontaktieren, wenn du mit mir darüber quatschen möchtest.

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Über den Author dieses Artikels:
Mein Name ist Ronny und ich bin Freelancer für IT-Projekte, WebDesign, Content-Erstellung, sowie Online-Trainer. Ich habe 2022 meine Leidenschaft Dinge einfach und simpel zu erklären zum Beruf gemacht. Profitiere von meiner Ausbildung als Trainer und erlerne neues Wissen mit meinen Tutorials. Fragen? Kontaktiere mich gerne, wenn Du mehr erfahren möchtest oder spezifisches Wissen benötigst.